Das Geschäft mit Privatkunden ist für Banken so attraktiv wie lange nicht mehr. Weltweit lagen die Erträge im Retail Banking, dem klassischen Privatkundengeschäft, im Jahr 2023 bei 3,14 Bio. US-Dollar (2,86 Bio. Euro) und damit rund 8% über dem Vorjahr. Mit einem durchschnittlichen Ertragswachstum von 7,6% pro Jahr seit 2020 ist das Privatkundensegment wieder ein wichtiger Wachstumstreiber für die Banken. In Europa lag das Ertragswachstum mit 8,7% jährlich sogar leicht über dem weltweiten Durchschnitt. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey & Company hervor.
Trotz der zuletzt guten Entwicklung bleibt das Retail Banking für Banken herausfordernd –insbesondere angesichts des zunehmenden Drucks auf die Zinsmargen sowie steigender Kosten. Denn bei ihren Rekorderträgen haben Banken vor allem von den gestiegenen Zinsen profitiert. Angesichts tendenziell wieder sinkender Zinsen dürfte der Höhepunkt zumindest bei der Zinsmarge bereits überschritten worden sein. McKinsey erwartet der Studie zufolge bis 2026 einen Margenrückgang zwischen 5 und 10% je nach Region. Gleichzeitig steigen die operativen Kosten im Retail Banking – vor allem für steigende Löhne, die Bekämpfung von Finanzkriminalität, Technologieinvestitionen sowie zunehmende Kreditrisiken. Aktuelle Zinsentscheidungen untermauern diese Entwicklung weiter.
„In den vergangenen Jahren haben die Banken gezeigt, dass sich auch im Privatkundengeschäft gutes Geld verdienen lässt. Der Margendruck und die steigenden Kosten erfordern von den Banken Strategien, wie sie die Einlagen halten, Provisionserträge ausbauen und den Kostenanstieg abfedern können, um den wahrscheinlichen Rückgang der Zinsmargen auszugleichen. Potenzial bietet dabei zum Beispiel die Bereitstellung von Karten- und Zahlungsverkehrsprodukten“, sagt Max Flötotto, Senior Partner und Leiter der Banken-Beratung bei McKinsey in Deutschland und Österreich sowie Co-Autor der Studie.
Filiale bleibt wichtig, aber digitale Services gewinnen weiter an Bedeutung
Um die Erträge im Privatkundengeschäft weiter auszubauen und die Margen zu schützen, müssen Banken laut Studie die bestehenden Beziehungen zu ihren Kundinnen und Kunden intensivieren und die Digitalisierung weiter vorantreiben. Dabei gerät die Bedeutung der Hauptbankverbindung wieder stärker in den Fokus. Denn Kundinnen und Kunden, die ihre Hauptbankverbindung bei einer bestimmten Bank haben, generieren dort überdurchschnittlich hohe Provisionserträge, verursachen über die Zeit weniger Kosten und unterhalten längerfristige Beziehungen. Dabei spielt eine „Mobile-first“-Vertriebsstrategie eine zunehmend wichtige Rolle. Denn die Filiale bleibt zwar für viele Banken ein essenzieller Teil des Vertriebs, da laut Studie in Europa immer noch die Hälfte, in Nordamerika sogar über 70%, aller neuen Konten in der Filiale eröffnet werden. Das stärkste Wachstum bei Produktabschlüssen und Interaktionen entfällt aber auf mobile Geräte. So ist der Anteil der Kundinnen und Kunden, die ihre Bankgeschäfte mobil erledigen, weltweit zwischen 2020 und 2023 um 18 Prozentpunkte auf 57% gestiegen. Auch die Zahl der Kontaktpunkte zur Bank hat sich im gleichen Zeitraum erhöht. Ihre Zahl stieg um 72% auf 150 pro Kunde pro Jahr, was wiederum mehr ist als bei einigen führenden E-Commerce-Anbietern.
Ein weiterer Weg, um Kundenbeziehungen zu stärken ist der Studie zufolge die „Hyperpersonalisierung“. So verfügen Banken über mehr Kundendaten als Unternehmen in den meisten anderen Branchen, liegen aber bei der Personalisierung deutlich hinter vielen anderen verbrauchernahen Branchen zurück. Dabei bietet die Personalisierung – auch mit Hilfe von generativer KI – gerade mit Blick auf das Marketing enormes Potenzial, um Konversionsraten deutlich zu erhöhen und Kampagnendauern erheblich zu verkürzen. „Digitalisierung ist und bleibt insbesondere im Privatkundengeschäft der Schlüssel für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Banken müssen schnell die Werkzeuge, Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln, um erster Ansprechpartner für profitable Kundinnen und Kunden zu bleiben und ihre Margen durch Investitionen in digitale und KI-Fähigkeiten zu schützen“, sagt Reinhard Höll, Partner bei McKinsey.