Eine neue McKinsey-Studie identifiziert ein großes Potential für Österreich im Bereich generative Künstliche Intelligenz (GenAI), der über dem globalen Durchschnitt liegt. Zusätzliche Maßnahmen und Investitionen sind allerdings notwendig, um den internationalen Anschluss nicht zu verlieren und zum europäischen Wettbewerbsvorteil beitragen zu können. Nur so kann GenAI zu einem Wachstumstreiber für Österreich werden.
Am stärksten betroffen von den Veränderungen durch GenAI-Technologien sind die Bereiche Bürounterstützung, professionelle Dienstleistungen, Ausbildung und MINT, was zu Beschäftigungsverlagerungen führen kann. Personen mit einem Hochschulabschluss werden die größte Veränderung in der täglichen Produktivität erleben. Das zusätzliche Automatisierungs- und Innovationspotenzial von GenAI hat allgemein einen positiven Einfluss auf die Produktivität, die dadurch bis 2040 insgesamt um 20% schneller wächst als ohne GenAI und damit die Wettbewerbsposition Österreichs gegenüber anderen Ländern erheblich verbessern kann.
„Österreich kämpft wie viele Industrieländer mit stagnierenden Produktivitätsfortschritten“, sagt Martin Wrulich, Senior Partner und Managing Director des Wiener McKinsey-Büros. „GenAI kann helfen, die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.“
Produktivitätspotenzial steigt mit dem Bildungsgrad
GenAI ist besonders vielversprechend für Tätigkeiten, die ein hohes Bildungsniveau erfordern. Diese Tätigkeiten sind komplex und profitieren daher stark von Optimierung und Automatisierung. Die Entscheidungsfindung und Zusammenarbeit im Unternehmen ist der Tätigkeitsbereich, der am meisten von GenAI profitieren kann. Beispielsweise kann GenAI die Anwendung von Fachwissen bei der Entscheidungsfindung in österreichischen Unternehmen um 56% effektiver gestalten. Auch die Datenverarbeitung kann durch GenAI enorm optimiert werden (91%).
Die GenAI-Lücke (der Unterschied zwischen dem technischen Automatisierungspotenzial mit und ohne generativer KI) ist im Bildungsniveau „Hochschulausbildung“ besonders hoch. Frauen sind davon am stärksten betroffen, da sie häufiger eine tertiäre Ausbildung absolvieren als Männer. Da immer mehr Österreicherinnen und Österreicher einen Hochschulabschluss erlangen, müssen KI-Kompetenzen dieser Gruppe gestärkt werden, um das Produktivitätspotenzial tatsächlich zu realisieren. Berufsgruppen, die überwiegend manuelle Tätigkeiten ausüben, beispielsweise im Bau- oder Landwirtschaftssektor, werden nur geringe oder gar keine Veränderungen in der Beschäftigung erleben. Daher ist GenAI nicht geeignet, den Fachkräftemangel entlang des gesamten Spektrums des Arbeitsmarktes zu mindern.
Weiterbildung bestehender Mitarbeiter:innen essenzielles Mittel gegen Fachkräftemangel
„GenAI kann österreichischen Unternehmen dabei helfen, Tech-Talente zu gewinnen, enger an sich zu binden und zu entwickeln. So könnten Anwendungen etwa neue Mitarbeiter:innen mit Mentor:innen und Coaches zusammenzubringen, das Onboarding-Erlebnis verbessern, maßgeschneidert Talente weiterbilden oder Verwaltungsaufgaben optimieren. Wichtig ist es, dass Führungskräfte ein überzeugendes Bild davon zeichnen, wie verschiedene Aspekte der Organisation durch GenAI neu vernetzt werden – technisch, finanziell oder kulturell“, sagt Holger Hürtgen, Partner im Düsseldorfer McKinsey-Büro und einer der Leiter von QuantumBlack in Deutschland, der KI-Beratung von McKinsey & Company.
- Upskilling/Umschulung: Um notwendige GenAI-Kernkompetenzen aufzubauen und zu fördern, müssen Anforderungen festgelegt, die Zielgruppen mit Weiterbildungsbedarf ermittelt und ein Bootcamp-Ansatz für die GenAI-Schulung etabliert werden.
- Coachings und Trainings: Umsetzung von Verbesserungen für das Schulungs- und Trainingsprogramm auf der Grundlage erster Erkenntnisse.
- Etablierung einer Lernkultur: Um eine Lernkultur zu fördern, bedarf es der aktiven Einbindung des oberen Managements, der Definition der erforderlichen Verhaltens- und Denkweisenänderungen und der Gestaltung von Kompetenzaufbauinitiativen, die sich auf Feedback und Coaching konzentrieren.
In Österreich verfügen über 89% der KI-Beschäftigten über einen höheren Abschluss als Bachelor, gehören allerdings zur mittleren Einkommensschicht. Das liegt vor allem daran, dass hochbezahlte KI-Arbeitsplätze noch nicht verbreitet sind und dies die Attraktivität zur Bindung von Spitzentalenten einschränkt. Eine Analyse von Nutzer:innenprofilen auf LinkedIn zeigt, dass Österreich in der Verbreitung von KI-Kompetenzen in der Erwerbsbevölkerung im Vergleich zu seinen Mitbewerber:innen schlecht abschneidet. Österreichische Arbeitnehmer:innen geben 0,6-mal häufiger KI-Kompetenzen an als Arbeitnehmer in der OECD-Benchmark.
Umsetzung des Potenzials von GenAI in Österreich
Zwar investiert Österreich mit 3,2 Prozent des BIP im europäischen Vergleich (2,3 Prozent) viel in Forschung und Entwicklung. Doch Österreichs Entwickler:innen tragen im internationalen Vergleich deutlich weniger KI-Projekten bei. Das zeigt eine Analyse von öffentlichen KI-Projekten auf GitHub, einer führenden Online-Plattform für Software-Entwicklung. Demnach stellt Österreich rund 19% weniger Beiträge und Code-Änderungen als der EU-Durchschnitt. „Die Voraussetzungen sind da. Österreich benötigt aber einen wirksamen Schulterschluss von Wirtschaft, Forschung und Politik, wenn wir führende GenAI-Player hervorbringen wollen, statt bloß passiv die Lösungen anderer zu nutzen. Nur mit einer engen Zusammenarbeit von Unternehmen, Universitäten, Investoren und Politik können optimale Rahmenbedingungen und wirksame Investitionsanreize geschaffen werden, damit auch in Österreich GenAI-Champions entstehen“, sagt Martin Wrulich.